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Gerhard von Rile


Kann man einen Mann, der zwar als Erbauer des Kölner Doms gilt, dessen Namen aber niemand wirklich kennt, eigentlich als berühmt bezeichnen? Im Grunde genommen nicht, auch wenn man mit Fug und Recht behaupten darf, daß Gerhard von Rile, so heißt der unbekannte Baumeister, mit dem Kölner Dom das eindrucksvollste gotische Bauwerk auf deutschem Boden begründet hat.
Aber nur wenige Baumeister hatten wie der Konstrukteur Gustave Eiffel das Glück und die Ehre, daß ein Werk nach ihnen selbst benannt wurde und sie dadurch nicht in Vergessenheit gerieten, - also ganz normal, daß in Köln kein "Reiler Dom" steht. Mehr als der Name ist von diesem ersten Baumeister des Domes auch nicht überliefert, wer jedoch aus einem kleinen Moseldörfchen stammte und später eine solche Kathedrale plante, mußte einen äußerst abwechlungsreichen Lebensweg zurückgelegt haben.

Die Wahrheit über Meister Gerhard verspricht das Hörspiel Der Kölner Dom zu erzählen. Natürlich aus Kölscher Sicht. Aus der Reiler Perspektive dürfte sein Leben vielleicht wie folgt verlaufen sein:

Gerhard von Rile

Am 15. August 1998 jährte sich zum 750. Male die offizielle Geburtsstunde eines weltbekannten deutschen Bauwerks: Am Mariä Himmelfahrtstag 1248 legte der Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden den Grundstein für ein imposantes und repräsentatives Gotteshaus, mit dem die selbstbewußten Bürger der größten mittelalterlichen deutschen Stadt für die Reliquien der Heiligen Drei Könige eine angemessene Pilgerstätte errichten wollten. Bei diesem feierlichen Akt war neben hohen weltlichen und geistlichen Würdenträgern, wohlhabenden Patriziern, ehrbaren Handwerkern und einer Menge schaulustigem Volk zweifellos auch derjenige Mann zugegen, der den Überlieferungen zufolge den Bau dieser klassischen gotischen Kathedrale nicht nur die ersten zwanzig Jahre lang leitete, sondern darüber hinaus noch den Gesamtplan des Bauwerkes lieferte. Gerhard von Rile lautete sein Name, und diesem zufolge stammte der vergessene Baumeister aus dem beschaulichen Moselörtchen Reil, das zu dieser Zeit noch Rile hieß.
In alten und mehreren neu erschienenen Reiseführern des Mosellandes wird Meister Gerhard als originärer Reiler erwähnt, doch der mutmaßliche Sohn des Dorfes ist im Grunde völlig in Vergessenheit geraten. Damit ist ihm beileibe kein schlechteres Schicksal als den übrigen mittelalterlichen Architektenkollegen widerfahren, was bereits Goethe in seiner Abhandlung "Von deutscher Baukunst" zu dem zornigen Urteil über seine ignoranten Zeitgenossen hinriß: "Was braucht's dir Denkmal! Du hast dir das herrlichste errichtet; und kümmert die Ameisen, die drum krabbeln, dein Name nichts, hast du gleiches Schicksal mit dem Baumeister, der Berge auftürmte in die Wolken", - wobei die auf den Schöpfer des Straßburger Westportals, Erwin von Steinbach, gemünzten Worte sich unverändert auf Meister Gerhard übertragen lassen. Die offizielle Geschichtsschreibung geizt auch bei unserem Architekten mit weiteren Lebensdaten, doch in seinem Falle lobt das Werk nicht nur den Meister, sondern vermag dem neugierigen Kunstfreund dessen gesamtes Leben zu erzählen, da beide in der beeindruckenden Gestalt des Kölner Domes zu einem überzeitlichen Lebenswerk miteinander verschmolzen.

Wie mag dieses Leben nun ausgesehen haben, in dessen Blüte Meister Gerhard die Planung und Ausführung eines solchen ambitionierten Bauwerkes überlassen wurde und er die Basis für dessen Verwirklichung legen konnte? Eines liegt dabei auf der Hand: Im Dörfchen Reil konnte er sein Handwerk nicht in der erforderlichen meisterlichen Art und Weise erlernt haben, nicht nur deshalb, weil die erste romanische Kirche des sich entwickelnden Marienwallfahrtsortes bereits 1190 fertiggestellt worden war. Selbst wenn er in seinem Heimatort seine ersten Steine behauen haben sollte, mußte er sich früher oder später aus dem engen Moseltal heraus auf den Weg gemacht haben, um in den aufstrebenden Städten des Hochmittelalters seine Kenntnisse im Steinmetzhandwerk zu erweitern. Im Gegensatz zu manch anderen Zeiten, wie die über sechshundertjährige Bauzeit des Kölner Domes bezeugen sollte, waren das 12. und 13. Jahrhundert von einer regen Bautätigkeit geprägt. Eine relative politische Stabilität unter den Stauferkaisern trug auch im damaligen Heiligen Römischen Reich zu einem Aufschwung in Handel, Wirtschaft und Technik bei, wie er schon bei west- und südeuropäischen Nachbarn eingetreten war. Vor allem die Städte profitierten davon, und die handeltreibenden Kaufleute konnten beachtliche Reichtümer anhäufen. Neue Entwicklungen in Gesellschaft und Technik finden auch immer ihren Niederschlag in der Architektur, und in diesem Falle waren es die um Eigenständigkeit ringenden Städte Nordfrankreichs, in denen sich das künstlerische und handwerkliche Potential zur Begründung eines neuen, anspruchsvollen Baustils gebildet hatte.

Ab der Mitte des 12. Jahrhunderts schossen die gotischen Kathedralen wie Pilze aus dem nordfranzösischen Boden, und kaum eine Stadt, die nicht ein beachtenswertes Exemplar dieser Gattung ihr eigen nennen könnte. Die kühnen Konstruktionen erforderten ein beachtliches handwerkliches Geschick und statisches Wissen, das lediglich aus Erfahrungswerten gewonnen werden konnte. Notgedrungen entwickelten sich die städtischen Dombauhütten somit zu den Technischen Hochschulen des Mittelalters, da das notwendige Ingenieurwissen noch nicht in Form von Tabellen und mathematischen Formeln zur Verfügung stand, sondern an Ort und Stelle im praktischen Gebrauch erlernt werden mußte. "Opus francigenum" hieß folgerichtig auch die Bezeichnung für den neuen Stil, der sich in Frankreich durchgesetzt hatte und Vorbild für die zukünftig bestimmende Architektur in Deutschland werden sollte. Kein Zweifel also, daß unser Meister etliche Jahre seines Lebens in den Dombauhütten der Ile de France, Champagne und Picardie verbracht haben muß, bevor er sich selbst an den Bau einer noch mächtigeren Kathedrale wagen konnte. Vor allem der Bau der Krönungskathedrale von Reims hatte wie ein Magnet die ambitionierten Baumeister der Zeit angelockt, und von dort aus verbreiteten sich die neuesten Entwicklungen zu den zahlreichen im Umkreis liegenden Bauhütten. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätten wir Meister Gerhard im Laufe seines Lebens also einmal in der Reimser Bauhütte antreffen können, aber mit Sicherheit wären wir ihm einmal in begegnet. Um 1220 wurde dort mit dem exemplarischsten Bauwerk seiner Art in Frankreich begonnen, dessen Grundriß von Meister Gerhard als Vorbild für den Kölner Dom wenig verändert übernommen wurde. Welche Position Gerhard von Rile bei der Dombauhütte von Amiens auch innegehabt haben mag, spätestens dort muß er sich die beachtliche Menge an Wissen angeeignet haben, um eine eigene Kathedrale planen und bauen zu können, wozu neben profunden Material- und Statikkenntnissen in gleicher Weise ein ausgeprägtes künstlerisches Empfinden für Proportionen und deren Wirkungen gehörte. Auch wenn der Kölner Dom im Grundriß und in der Gestaltung der zuerst fertiggestellten Chorpartie in vielen Details der Schwesterkathedrale von Amiens sehr ähnelt, rühmt man an ihm nicht umsonst die Souveränität der Planung und Eleganz der Ausführung.

Doch damit Meister Gerhard seine Ideen überhaupt umsetzen konnte, mußte erst dieser potente Auftraggeber gefunden werden, der sich solch ein aufwendiges und kostspieliges Bauwerk errichten lassen wollte. In Nordfrankreich war der Bedarf an Kathedralen inzwischen gedeckt, in Gerhards Heimat setzte sich der neue Stil jedoch nur zögerlich durch. Es war gewiß kein Zufall, daß ausgerechnet in Trier, dem Frankreich am nächsten gelegenen Bistum, mit dem Bau der Liebfrauenkirche der erste gotische Großbau Deutschlands errichtet werden sollte. Damit war der Anfang gemacht, und das "opus francigenum" trat seinen Siegeszug an. Daß in Köln schließlich ernsthafte Überlegungen angestellt wurden, den zu klein und baufällig gewordenen vorromanischen Dom durch ein größeres und prächtigeres Bauwerk zu ersetzen, wird sich auch in den französischen Bauhütten schnell herumgesprochen haben. So war endlich die Stunde gekommen, in der Meister Gerhard mit den verantwortlichen Kölnern in Verbindung treten und die Entwürfe für das repräsentative Bauwerk ausarbeiten konnte. Es ist schwer zu sagen, ob sich Erzbischof, Domkapitel und Bürgerschaft annähernd darüber bewußt waren, worauf sie sich mit den fertigen Plänen schließlich einließen, doch die Stadt sah sich dem Projekt gewachsen und gab ihre Zustimmung. Damit war Meister Gerhard für den Rest seines Lebens beschäftigt, denn die Umsetzung seiner Entwürfe würde selbst unter günstigsten Bedingungen die Arbeit mehrerer Generationen erfordern. Über zwei Jahrzehnte konnte er noch seine Kräfte den Bauarbeiten widmen, bis er im Jahre 1270 von Meister Arnold abgelöst wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren zwar erst Teile des aufwendigen Chorraumes fertiggestellt, doch hätte Meister Gerhard niemals ahnen können, daß der gesamte Dom erst 1880 als Ausdruck einer nationalen Aufgabe seine Vollendung erfahren würde. Seitdem ziehen jedoch ungezählte Ameisenkolonnen jeden Tag staunend an dem architektonischen Weltwunder vorbei und bekunden den unbekannt gebliebenen Baumeistern der Kathedrale letztlich doch innerlich den Respekt, den die Kühnheit und Gewaltigkeit der mittelalterlichen Baukunst selbst beim abgeklärten Menschen der Neuzeit immer noch hervorzurufen vermag.

 

Literatur:

Goethe, Johann Wolfgang von: "Von deutscher Baukunst", in: Ders., Werke. Hamburger Ausgabe. Bd. 12. München 1988, S. 7-15

Mick, Elisabeth: Köln im Mittelalter. Köln 1990

Nußbaum, Norbert: Deutsche Kirchenbaukunst der Gotik. Darmstadt 21994

Ullmann, Ernst: Gotik : Deutsche Baukunst 1200-1550. Leipzig 1994

 

Zum Anfang dieser Seite Zuletzt aktualisiert am 19.Februar 2006   © Friedhelm Greis