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Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Philosophisches Seminar

Friedhelm Greis

Proseminar: Ästhetische Theorien

Leitung: PD Dr. St. Grätzel

Sommersemester 1993

Semesterbericht


Inhalt


Einführung

Im Verlaufe seiner Vorlesungen über die Ästhetik [1]geht Hegel in der Weise vor, daß er nach einer längeren epistemologischen Einleitung in einem ersten Teil zunächst Die Idee des Kunstschönen oder das Ideal behandelt, anschließend sich über Die Entwicklung des Ideals zu den besonderen Formen des Kunstschönen verbreitet und in einem dritten Teil schließlich Das System der einzelnen Künste erörtert. Innerhalb dieses Systems schreitet er von der symbolischen über die klassische zu den romantischen Künsten fort, oder anders klassifiziert: von den bildenden über die tönende zur redenden. Dabei versucht er, die Entwicklung im System der einzelnen Künste von der Architektur und Skulptur zu den romantischen Künsten Malerei, Musik und Poesie aus ihren zugrundeliegenden geistigen Veränderungen heraus zu beschreiben. Nachdem er die Architektur und Skulptur bereits abgehandelt hat, stellt er in einer kurzen Vorbemerkung über die romantischen Künste im allgemeinen - worin auch gleichzeitig ein knappes Resümee des Vorhergehenden enthalten ist -, die Entwicklung zur Malerei hin dar[11-16].[2] Hegel versteht nun den Übergang von der Skulptur zur Malerei vom Prinzip der Subjektivität her, das auf diese Weise erst ausgedrückt werden könne. Bei der Skulptur sei dies noch nicht möglich, da sie aus zweierlei Gründen dem Prinzip der Objektivität verpflichtet sei: Zum einen, indem sie das ewige wahre Substantielle darzustellen versuche, zum anderen, indem sie am äußeren Realen festhalte. Wenn Hegel unter Subjektivität den Begriff des ideell für sich seienden Geistes, der sich aus der Äußerlichkeit in das Innere zurückziehe, versteht, so leuchtet ein, daß dieser sich nicht dreidimensional materialisieren läßt, was insbesondere die Aufgabe seiner Dynamik mit sich brächte. Diese Darstellung der Subjektivität könne in gewisser Weise dadurch erreicht werden, indem nun zum einen der "blicklosen Gestalt" eine Dimension weggenommen, zum anderen diese an sich reduzierte Individualität in eine vom Künstler zu gestaltende Umgebung versetzt werde. In diesem Sinne ist die Figur nicht mehr real, sondern die Wirklichkeit wird auf einen Schein hin zurückgeführt. Die Subjektivität im Kunstwerk setzt somit die des Betrachters voraus, der der Dynamik des sich in ihm entfaltenden Subjekts Raum geben muß. Im nächsten Schritt versuche nun die Kunst der an eine äußere Momentaufnahme gefesselten Subjektivität des Geistes mehr Entfaltungsmöglichkeiten zu geben und bringe daher den Faktor Zeit mit ins Spiel, der zunächst in Form der Musik den Geist gänzlich frei von äußeren Bindungen agieren lasse. Da die Kunst laut Hegel sich aber nicht rein auf das Innere beschränken kann und einer Art von Objektivität bedarf, muß sie versuchen, diese beiden Prinzipien zu vereinen, was jedoch keine reale, sondern nur noch eine vorgestellte Anschauung zur Folge haben kann, in der Form der Poesie.

Malerei

Diese allgemeinen Gedanken vorausschickend, wendet sich Hegel nun dem Gegenstand der Malerei zu. Dabei versucht er, sich ein Bild von deren verschiedenen Epochen zu machen, wobei er einschränkend zugibt, daß im Gegensatz zur Skulptur nur wenige Werke der Malerei von der Antike her erhalten geblieben seien. Dennoch ist es ihm möglich, sie als nicht dem Prinzip der Malerei entsprechend zu klassifizieren, da sich der geistige Gehalt in der Kunst nicht von der Darstellungsweise trennen lasse[20f], und so aufgrund der überlieferten Texte etc. der Antike geschlossen werden könne, daß die Kunst nicht über die der Skulptur innewohnenden Prinzipien hinausgelangt sei. Andererseits gibt er auch zu verstehen, daß dem heutigen Betrachter die plastischen Werke der antiken Künstler nicht mehr von sich aus ansprechen können, da die Fortschritte in der Geistesgeschichte auch die Auffassung von Kunstwerken beeinflusse. Das schließt auch ein, daß die verschiedenen Künste schon immer nebeneinander existierten, jedoch jede Epoche eine für ihre Geisteshaltung charakteristische Kunst in besonderer Weise ausbildete, oder anders gesagt, eine bestimmte Kunst am besten den Geist einer Epoche ausdrücken konnte oder zu guter Letzt, daß die Kunst immer die Aufgabe hatte, bestimmte geistige Veränderungen zu veranschaulichen, die ihrem Charakter entsprechend, eine bestimmte Kunstart als Ausdrucksmittel wählten und dadurch weiterentwickelten. Von daher weist Hegel der Malerei eben das vielleicht erst mit Beginn der Neuzeit entdeckte und entwickelte Prinzip der Subjektivität, und damit die partikulären Empfindungen, Gefühle - bei ihm "Gemüt" genannt - als Gegenstand der Darstellung zu. Dabei kann für ihn sowohl das Besondere, Außergewöhnliche, wie auch das Zufällige, Unbedeutende der Subjektivität darin Platz finden. Das heißt, die Malerei gewinnt gegenüber der Architektur und Skulptur in bezug auf ihren Gegenstand eine größere Freiheit, was durch das bereits erwähnte Aufgeben der Dreidimensionalität erreicht werden konnte. Eine besondere Rolle habe in diesem Zusammenhang die Entwicklung innerhalb der Religion gespielt, näherhin die Verbindung von Göttlichem und Menschlichem in der Person Christi, die der Liebe als höchstem Ausdruck von Subjektivität neue Inhalte gegeben und in der Malerei die ihr angemessene künstlerische Darstellungsweise gefunden habe[41-53]. Jedoch weist Hegel auch darauf hin, daß die Malerei keineswegs nur auf die versuchte Abbildung solch höchst ideeller Werte festgelegt sei, sondern aufgrund der in ihr möglichen Meisterschaft der künstlerischen Auffassung und Wiedergabe selbst alltäglicher und banaler Dinge, diesen ein hoher ästhetischer Genuß abzugewinnen sei.[3] Hegel macht wiederholt auf die diesbezügliche unterschiedliche Wahrnehmung der Kunstwerke aufmerksam[35]: stellt der Künstler etwas Ergreifendes und Bedeutungsvolles dar, wird dieser Gegenstand bzw. der damit verbundene Inhalt zum Gegenstand der Wahrnehmung des Betrachters, bei einem unbedeutenden abgebildeten Gegenstand wird jedoch die "subjektive Kunst des Machens", d.h. die Fähigkeit der Wahrnehmung und Ausführung des Künstlers, bewundert. Eine entsprechende Erfahrung hat sicherlich selbst schon ein jeder gemacht: ein Stilleben mit Obstschale wird nur dann als Kunstwerk geschätzt, wenn es entweder besonders originell oder besonders originalgetreu dargestellt ist. Mit anderen Worten, Form und Inhalt stehen in der Malerei bezüglich ihrer Wahrnehmung in einem reziproken Verhältnis zueinander: "Je geringfügiger nun im Verhältnis zu religiösen Stoffen die Gegenstände sind, die diese Stufe der Malerei als Inhalt ergreift, desto mehr macht hier gerade die künstlerische Produktion, die Art des Sehens, Auffassens, Verarbeitens, die Einlebung des Künstlers in den ganz individuellen Umkreis seiner Aufgaben, die Seele und lebendige Liebe seiner Ausführung selbst eine Hauptseite des Interesses aus und gehört mit zum Inhalte."[66]

Die Möglichkeiten dazu liegen in dem sinnlichen Material der Darstellung begründet, der Farbe. Hegel sieht richtig, daß die Malerei in der Lage ist, die aufgegebene Räumlichkeit mit Hilfe feinster farblicher Abstufungen zu imitieren, was durch die Entwicklung der Maltechnik von einer "naiven" Malerei über die Renaissance- und Barockmalerei bis in die Zeit Hegels hin ermöglicht wurde. Wenn auch im allgemeinen seine Lichttheorie in unserem heutigen physikalischen Verständnis nicht ganz zutreffend war, so kann man ihm dahingehend zustimmen, daß das natürliche Licht im Gegensatz zur Skulptur und Architektur keine optischen Effekte mehr hervorbringt, sondern der Maler jede Art von Schattierung und Färbung seinem Gemälde eingeben muß. In etwas problematischer Weise versucht Hegel noch, Hell, Dunkel, Licht und Schatten als Abstraktion vom sinnlichen Material, der Farbe, zu trennen[33]. Natürlich kann der Maler mit diesen Begriffen nicht "malen", jedoch auch nicht von ihnen abstrahieren, da sie nicht nur den Gegenständen, sondern auch der Farbe - wenigstens in bezug auf Hell und Dunkel - anhaften. Denn zum einen erläutert er weiter oben, in welcher Weise verschiedene Helligkeitsstufen dazu benutzt werden, um eine räumliche Vorstellung entstehen zu lassen[32], zum anderen schreibt er: "Gestalt, Entfernung, Abgrenzung, Rundung, kurz, alle Raumverhältnisse und Unterschiede des Erscheinens im Raum werden in der Malerei nur durch die Farbe hervorgebracht,...und durch die tieferen Gegensätze, die unendlich mannigfaltigen Mittelstufen, Übergänge und Feinheiten der leisesten Nuancierung in Rücksicht auf die Fülle und Besonderheit der aufzunehmenden Gegenstände den allerbreitesten Spielraum gewährt."[33] In diesem Zusammenhang bedeutet Färbung und Nuancierung doch nichts anderes, als bestimmte Helligkeitsstufen einer Grundfarbe zu variieren.

Zwar hat ein Gegenstand in der Natur nur eine Farbe als solche, ohne daß ihm in der Regel eine bestimmte Helligkeit zu eigen ist, dennoch befindet er sich in jedem Augenblick in einem akzidentellen Zustand von Hell oder Dunkel, der in diesem Falle real, kein Mittel der Abstraktion und auch physikalisch meßbar ist.

Daß Hegel auch nicht den Unterschied zwischen additiver und subtraktiver Farbmischung kannte, läßt sich daran erkennen, daß er sich das Licht nicht aus verschiedenen Spektralfarben zusammengesetzt denken kann[73].[4] In der Tat arbeitet der Maler auch nicht mit farbigem Licht, sondern mit Stoffen, die bestimmte Wellenlängen des weißen Lichts absorbieren und somit farbig erscheinen. Es erscheint auch fraglich, inwieweit das dem Licht entgegengesetzte, das Dunkle, als eigenes Prinzip zu denken ist. Schließlich existiert das Dunkle nicht als solches und ist nur Mangel an Licht. Im dialektischen Sinne ist Hegel natürlich auf eine Antithese zum Prinzip des Lichts angewiesen, aus dem dann die Farbe als Synthese hervorgehen kann. Aus der Perspektive des Künstlers liegen diese beide Gegenüberstellungen vielleicht in der vollkommenen Lichtreflexion der noch weißen Leinwand und einer alles Licht verschluckenden gemalten schwarzen Fläche, zwischen den beiden Extremen er sich als Maler bewegen muß. Beide haben keinen Inhalt, das eine noch nicht, das andere nicht mehr.

Unter Berücksichtigung dessen beschränkt sich die Abstraktion demnach auf die der dritten Dimension, was auch gleichzeitig eine Aufgabe der schweren Masse als Material mit sich bringt. Dies ist es nun, was den eigentlichen Zugewinn an künstlerischer Freiheit und Ausdrucksmöglichkeiten ausmacht. Die Farbe selbst hat als Material keinen inhaltlichen Eigenwert mehr. Mit dieser Freiheit hebt nun die Malerei auch den Gegensatz von Architektur und Skulptur in sich auf. Das heißt, die Malerei kann sowohl eine Figur darstellen als auch deren Umgebung gestalten. Ihre Begrenzung findet sie jedoch darin, wo sie versucht, eine Entwicklung darzustellen, sozusagen zu dramatisieren. Denn einerseits gibt es nur wenige Momentaufnahmen, die das Motiv der Entwicklung schon in sich tragen, zum anderen setzen diese Augenblicke eine Art Gemütszustand voraus, der nicht zum eigentlichen Inhalt der Malerei gehört. Diese kann nämlich nicht zwei verschiedene Empfindungen ein und derselben Person nacheinander auf einem Bild darstellen, sondern höchstens den Übergangszustand von einem zum anderen, so daß diese dann nicht in Reinheit geschildert werden können. Am Beispiel eines 100m-Laufes illustriert würde das bedeuten, daß ein Bild der Läufer in den Startblöcken am stärksten einen dynamischen, Entwicklung implizierenden Effekt mit sich bringen würde. Spannung, Hoffnung, Siegesgewißheit und -ungewißheit liegen darin verborgen. Der eigentliche aktive Teil des Wettkampfes, der Lauf selbst, der die Entwicklung bringt und die Erwartungen der Läufer bestätigt oder enttäuscht, würde dagegen kein gutes Motiv in diesem Sinne darstellen. Am Ziel jedoch kann man wieder die Empfindungen der Läufer wahrnehmen und beschreiben, hat dann aber keine Entwicklung mehr. Für Hegel wäre der Moment kurz vor der Ziellinie interessant, jedoch nur dann, wenn aus der Position der Läufer der Ausgang des Rennens schon eindeutig zu bestimmen wäre. Er selbst gibt ein Beispiel einer Schlacht an, bei der der Sieger zwar schon feststehe, jedoch der Maler noch letzte Gefechte darstellen könne.

In diesem Sinne sind die Möglichkeiten der Malerei zu einer Darstellung von Entwicklung sehr begrenzt, was später in der Musik und Poesie aufgehoben werden kann. Vorteile besitzt die Malerei gegenüber den letztgenannten Künsten in der Gleichzeitigkeit der Wahrnehmung des gesamten Kunstwerkes, der Überlegenheit der optischen Auffassung im Vergleich zur reinen Imagination und überhaupt in der geringeren Abhängigkeit des Werkes vom Rezipienten. So bemerkt Hegel: "Die Beschreibung solcher Gegenstände und Situationen ist einerseits sehr trocken und tädiös, und kann dennoch, wenn sie aufs einzelne eingehen will, niemals fertig werden; andererseits bleibt sie verwirrt, weil sie das als ein Nacheinander der Vorstellung geben muß, was in der Malerei auf einmal vor der Vorstellung steht, so daß wir das Vorhergehende immer vergessen und aus der Vorstellung heraushaben, während es jedoch wesentlich mit dem anderen, was folgt, in Zusammenhang sein soll, da es im Raum zusammengehört und nur in dieser Verknüpfung und in diesem Zugleich Wert hat."[90] Dies ist eine Illustration der Redewendung, nach der das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist. Denn es bleibt immer fraglich, ob zum einen ein Autor in der Lage ist, den ihm vorschwebenden Eindruck adäquat in Worte zu fassen, zum anderen ob der Leser dabei die gleichen Assoziationen entwickeln kann. Von daher ist die Nähe zwischen Maler und Betrachter noch größer. Es bleibt zwar immer offen, ob jemand beim Betrachten eines Bildes ähnliche Gedanken entwickelt und Gefühle empfindet wie dessen Schöpfer, nichtsdestotrotz ist der Eindruck unmittelbarer, eingehender und weniger abstrakt als bei der Poesie, da er zugleich noch sinnlich ist.[5] Es gibt daher bei der Malerei weniger die Kategorien schwierig und leicht in bezug auf die Betrachtung, sondern eher bezogen auf den Inhalt und die Ausführung. Von daher liegen die Anforderungen zum größten Teil auf der Seite des Künstlers, die Wirklichkeit auf eine bestimmte Weise wahrzunehmen und diese Sichtweise darzustellen. In diesem Zusammenhang zitiert Hegel dann eine Passage aus Goethes Dichtung und Wahrheit, wo dieser eine für ihn eindrucksvolle Erfahrung des Einklangs mit der auf einem Bild dargestellten Situation und einer eigenen dadurch inspirierten Wahrnehmung beschreibt[82]. Auf diese Weise kann der Betrachter angeregt werden, die Wirklichkeit von einer anderen Perspektive, d.h. der des Künstlers zu betrachten, oder bei Situationen zu verweilen, die er nicht kennt, über die er hinweg sieht oder eben nur aus einer bestimmten Sicht bislang gesehen hat. In diesem Sinne bringt die Malerei über die Person des Künstlers die Subjektivität und Individualität der dargestellten Motive zum Ausdruck, ohne jedoch reine Empfindung und Abstraktion zu sein. So ist es kein Wunder, daß Hegel die Malerei zwischen Architektur und Skulptur einerseits und Musik und Poesie andererseits ansiedelt.

Musik

Aus dem bisher Gesagten erhellt, wie sich Hegel das Verhältnis von Musik und Malerei vorstellt. Die Musik verzichte nun vollkommen auf ein äußerliches, für sich stehendes Material, um damit das rein innerliche Subjektive darstellen zu können. Im Vergleich zu den vorhergehenden Künsten werde auch das Element der Ruhe aufgegeben, nicht nur in bezug auf Inhalt und Wahrnehmung des Kunstwerkes, sondern vor allem in bezug auf dessen Material. Dieses entstehe gerade dadurch, daß ein Stoff "sein ruhiges Aufeinander" aufgebe, jedoch in einer solchen Weise, daß er in seine Ausgangslage zurückstrebe. Der Ton entstehe auf diese Weise aus der Bewegung als Negation der Materielosigkeit. Diese impliziere eine zweifache Negation von Äußerlichkeit, der von Raum und Zeit, da sich der Ton in seinem Entstehen durch sein Dasein selbst wieder vernichte und an sich wieder verschwinde[134-135]. Von daher ist ein Musikstück immer darauf angewiesen, daß es aufgeführt wird und die Töne in der Intention des Komponisten zum Erklingen gebracht werden, in dem Maße, wie dies möglich ist. Durch diese extreme Abstraktheit des Materials sei der Inhalt der Musik nun ganz auf das Subjektive und damit auf die Innerlichkeit beschränkt. Die Töne sollen im Idealfall in der Seele des Hörers widerklingen, gleichsam eine Resonanz erzeugen[136]. Nur auf diese Weise erreicht das Werk seinen Adressaten und setzt damit auch eine besondere Disposition des Hörers voraus. Ein Musikstück existiert nicht für sich (abgesehen von der Partitur), sondern hat nur eine bestimmte Dauer während der es wahrgenommen werden kann. Der Hörer muß sich darauf einstellen, er kann nicht schnell oder langsam hören, gar davor verweilen oder nur einen bestimmten Ausschnitt davon betrachten. Zu Hegels Zeiten war Musik ja noch nicht beliebig konservier- und reproduzierbar. Auf diese Weise wird der Faktor Zeit in die Kunst miteingebracht, jedoch mit einer starken Bindung an denselben. In der Musik wird es nun möglich, innerhalb eines Kunstwerkes Bewegung und Entwicklung darzustellen, da die Musik nichts weiter als Bewegung, d.h. Schwingung, ist. Auf diese Weise kann sie nun ihrer Hauptaufgabe nachkommen, die laut Hegel darin besteht, nicht die Gegenständlichkeit selbst, sondern im Gegenteil die Art und Weise widerklingen zu lassen, in welcher "das innerste Selbst seiner Subjektivität und ideellen Seele nach in sich bewegt ist."[135]

Nun stellt sich die Frage, ob die Kunst in dieser Weise der Abstraktion an ihr Ende angelangt ist, und ob sie ihrer Aufgabe, der Bewußtseinsmachung und Veräußerlichung des Innerlichen und Geistigen erfüllt hat, oder die völlige Aufgabe des Objektiven nicht doch in gewisser Weise dem Geist nicht gerecht wird. Zwar ist der Ton nicht mehr materiell vorhanden, ist aber immer noch sinnlich.

Poesie

Der nächste Abstraktionsschritt besteht folgerichtig in der Aufhebung jeglicher Sinnlichkeit und der "Beschränkung" auf das rein Geistige, das für Hegel in der Kunst des Wortes, der Rede, der Sprache, des "Sagbaren" d.h. der Poesie zum Ausdruck kommt. Für Hegel hebt nun die Poesie die Möglichkeiten sämtlicher ihr vorausgehenden Künste in sich auf, selbst die der bildenden Künste wie Architektur und Skulptur. Das heißt, die Poesie kann mittels der Sprache sowohl eine objektive Welt gestalten, modellieren, "malen", wie auch subjektive Empfindungen in ihrer Entwicklung beschreiben, ohne dabei in einer Weise an die Zeit gebunden zu sein, wie es bei der Musik der Fall ist[224]. Das liegt nun daran, daß die Sprache als Material der Poesie dem Geistigen am ehesten entspricht. Hegel setzt sie sogar mit der Phantasie selber gleich, und sagt von dem Wort, es sei das "bildsamste Material, das dem Geiste unmittelbar angehört und das allerfähigste ist, die Interessen und Bewegungen desselben in ihrer inneren Lebendigkeit zu fassen."[239] Während bei den vorhergehenden Künsten das Material aus der Natur entnommen war - natürlich in einem noch rohen Zustand -, ist dies bei der Poesie nicht mehr der Fall. Bei der Architektur z.B. müssen die Steine zuerst behauen werden, die Musik erzeugt Geräusche mit speziell dafür geschaffenen Instrumenten, aber prinzipiell gelangt man nicht über eine Veredelung des Natürlichen in bezug auf das Material hinaus, was ja auch schon ästhetische Momente beinhaltet. "In der Poesie...wird...der Ton...zum bloßen Redezeichen herabgesetzt und behält deshalb nur den Wert, eine für sich bedeutungslose Bezeichnung von Vorstellungen zu sein."[144] Aus diesem grundlegenden Gedanken zieht Hegel später den Schluß, daß "die Poesie...nun sich von solcher Wichtigkeit des Materials in der Weise los(streift), daß die Bestimmtheit ihrer sinnlichen Äußerungsart keinen Grund mehr für die Beschränkung auf einen spezifische Inhalt und abgegrenzten Kreis der Auffassung und Darstellung haben kann."[232f] In der Tat ist es in der Poesie mitunter schwierig, zwischen Inhalt, Form und Material zu unterscheiden, d.h. festzuhalten, was das Wort zur Poesie macht, denn das Wort ist ebenso wenig poetisch wie die Farbe malerisch und der Ton musikalisch[230]. So stellt für Hegel die innere Vorstellung das allgemeine Material dar, das durch die künstlerische Phantasie poetisch werde,[230] andererseits ist sie auch der Inhalt selbst[236]. Auf diese Weise hat die Kunst nun ihren höchsten Abstraktionsgrad erreicht, deckt ihr breitestes Inhaltsspektrum ab und ist gleichzeitig an ihrem Ende angelangt. Da sie sich aus dem Bereich des Sinnlichen zurückgezogen hat, ist sie ganz an die Subjektivität des Hörers oder Lesers verbunden, die die "inneren Vorstellungen" des Autors reproduzieren müssen.

Resümee

Da von der dreibändigen Ausgabe Hegels Vorlesungen über die Ästhetik im Laufe des Semesters nur der dritte und letzte Band und dieser auch nur auszugsweise behandelt werden konnte, war es nur schwer möglich, auf diese Weise einen umfassenden Einblick in Hegels Grundgedanken über eine ästhetische Theorie zu erhalten. Des weiteren erwies sich als schwierig, sich mit der besonderen Begrifflichkeit der Konzeption vertraut zu machen oder überhaupt sich dem gewaltigen Umfang seines Denkens und Wissens zu nähern. Zumindest dem besseren Verständnis des gesamten Systems der einzelnen Künste kam es entgegen, daß Hegel zu Beginn eines jeden Abschnittes wichtige Anliegen wiederholte. Denn über die für jede Kunst gesonderte Beschreibung von Inhalt, Material und Prinzipien der Behandlung hinaus liegt Hegel ein besonderes Interesse daran zu zeigen, daß innerhalb dieser einzelnen Künste in der Entwicklung von der symbolischen über die klassische zur romantischen Darstellungsweise dialektische Prozesse mitspielen, die durch fortschreitende Abstraktion eine schrittweise "Aufhebung" der Künste vornehmen, was die in der Poesie ihren Höhepunkt findet und das "Ende" der Kunst andeutet. Dieser Auffassung kann im Prinzip nicht widersprochen werden, da es sich ganz offensichtlich zwischen einem Steinquader und einem Wort um zwei vollkommen verschiedene Materialien handelt. Ästhetik fängt nun damit an, zu sagen, was die Verbindung von mehreren Steinen und die Zusammensetzung von verschiedenen Wörtern zur Kunst macht. Für Hegel läßt sich dies einwandfrei an Inhalt und Ausführung eines Kunstwerkes festmachen. Eine Kunst ohne Inhalt gibt es für ihn nicht und die Kunstfertigkeit des Künstlers - die Dominanz des Materials -, stellt die Grundvoraussetzung dafür dar.[6] Auf diese Weise kann er auch eine kunstgeschichtliche Betrachtung an die geistigen Entwicklungsschritte der Menschheit knüpfen, da der geistige Gehalt eines Kunstwerkes nie von der Darstellungsweise zu trennen sei. Diese Feststellung Hegels trifft auch für die weitere Entwicklung der Kunst zu, mit dem Unterschied, daß sie sich nicht daran gehalten hat. Daß heißt, wenn die Kunst mit diesem Prinzip an ihr Ende angelangt ist, versucht sie als Antwort darauf, es zu sprengen. Eine Möglichkeit dazu besteht darin, einen über den Möglichkeiten der Gattung liegenden Inhalt auszudrücken, sozusagen einen Abstraktionsschritt einzufügen ohne in einem dialektischen Prozeß die Gattung aufzuheben, was in den Augen Hegels natürlich unzulässig wäre. Dies hat die einfache Konsequenz, das ein abstraktes Gemälde aus sich heraus nicht mehr verständlich ist, und eigentlich einer Erklärung in Form der vorgenommenen Abstraktion, d.h. Worten, bedarf. In einem anderen Extrem wird von Seiten der Kunst von sich aus auf einen Inhalt verzichtet, womit der Gehalt der Darstellungsweise unterschritten wird. Es wäre nun interessant zu erfahren, wie Hegel diese Entwicklung beurteilte. Da er seine kunstgeschichtliche Betrachtung in Anlehnung an seine allgemeine Geschichtsphilosophie als eine Bewußtwerdeung und Offenbarung des absoluten Geistes betrachtet - der sich zu diesem Zwecke auch der Kunst bedient -, geht ihm dadurch gleichzeitig die Aufmerksamkeit für andere Dinge verloren. Es ist m. E. keine Frage, daß gesellschaftliche, politische, ökonomische ja sogar einfache technische Veränderungen die Entwicklung der Kunst maßgeblich beeinflussen. Zum Beispiel haben die Erfindung der Fotografie, die Entstehung des Kinos, d.h. die allgemeine Ermöglichung der Konservierung und des Reproduzierens von Ton und Bild starke Auswirkungen auf die Malerei, die Musik und das Theater gehabt, ohne sie jedoch ganz aufzuheben. Da bestimmte Elemente dieser Künste auf andere Weise besser erzeugbar wurden, mußten charakteristische Aspekte im Gegenzug besonders betont werden. Teilweise waren diese Entwicklungen im Sinne Hegels, so wie z.B. die Malerei nie ihre Aufgabe darin sah, Porträts so originalgetreu wie möglich auszuführen, und dennoch die Porträtfotografie sicherlich die Aufgabe eines Malers, gerade das für ihn Wesentliche und Charakteristische einer Person hervorgehoben darzustellen, verstärkt hat.[7] Andererseits liefen Entwicklungen auch dahin, überhaupt nicht mehr das zu malen, was Ähnlichkeit mit Natürlichem hat, wobei zu fragen ist, ob in diesem Fall die Freiheit des Künstlers über die durch die Gattung festgelegten Grenzen hinausgehen darf. In seinen Ausführungen über Das Ende der romantischen Kunstform sieht Hegel eine Hauptauswirkung des Endes der Kunst darin, daß der Künstler sich mit dem Inhalt seines Werkes nicht mehr vollständig identifizieren könne, da er inzwischen geistig über den traditionellen Inhalten der Künste stehe.[8] Es scheint, daß diese Not des Künstlers ebenfalls zu den Entwicklungen in der Kunst seit Hegel beigetragen hat, wobei natürlich der bis dato bestehende Rahmen oft gesprengt werden mußte. Aus philosophischer Sicht ist mit Hegel sicherlich nicht nur die Kunst, sondern größtenteils auch die Ästhetik als philosophische Disziplin an ihr Ende gekommen, besonders wenn man die Bedeutung des zu Anfang wichtigen Begriffes des Schönen untersucht, da auch innerhalb der Kunst diese Begrifflichkeit und Aufgabenstellung aufgegeben wurde.[9] Dies erschwert in der heutigen Zeit eine Erfassung von Kunstwerken mittels ästhetischer Kategorien und stellt die Frage nach der Relevanz und Möglichkeit einer Kunsttheorie überhaupt, so daß in einem abschließenden Urteil der Ästhetik fast ausschließlich eine historische Bedeutung zugesprochen werden kann.


[1]Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Ästhetik I-III. Theorie-Werkausgabe Bde. 13-15. Frankfurt 1970

[2]Die Seitenangaben in Klammern beziehen sich sämtlich auf: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Ästhetik III. Theorie-Werkausgabe Bd. 15. Frankfurt 1970

[3]Vgl. die Ausführungen Hegels Zum Zwecke der Kunst in bezug auf Horaz': "Aut prodesse volunt aut delectare poetae" a.a.O. Bd. 13, 76

[4]Hegel lehnte sich anscheinend an Goethes erwiesenermaßen physikalisch inkorrekte Farbenlehre an.

[5]Für Hegel steht zusätzlich die geistesgeschichtliche Weiterentwicklung dem im Wege.

[6]Vgl. die Ausführungen zu Der Zweck der Kunst. Bd. 13, 64-83

[7]Vgl. Bd. 13, 67

[8]Vgl. Bd. 14, 231-244

[9]Vgl. Art.: Ästhetik. In: Ritter, Karl: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd.1 Basel 1971 555-580, hier 574-578

 

Zum Anfang dieser Seite Zuletzt aktualisiert am 14.Januar 2004   © Friedhelm Greis